Freitag, 29. Juli 2011

Zuviel und zu wenig

Feuerwerk des Rutenfestes in Ravensburg Di. 26.07.2011

Einmal im Jahr besuche ich meinen Sohn, der jetzt in Schlier bei seiner Großmutter wohnt. Das Rutenfest, ein Heimatfest, das ich von Kindesbeinen an mitgefeiert habe, ist der gegebene Anlass, um für ein paar Tage in meine Heimat zurückzukehren.
Das Bild oben habe ich von dem Feuerwerk gemacht, das zum Abschluss des Rutenfestes in Ravensburg stattfand. Ich nehme dieses Bild als Vergleich zur Darstellung des Wortes „Ekstase“, was griechischen Ursprungs ist, und bedeutet: „Außer sich sein“. 
Ekstase kann kurzfristig als ein Glückszustand wahrgenommen werden, ist aber auf Dauer nicht angebracht, weil der Bezug zur Realität verloren geht, weil das rechte Maß im Erleben der Wirklichkeit überschritten ist.
Was da dann fehlt ist die Umkehr und Abkehr von einer Haltung, welche den Kontakt zu sich selbst verloren hat und sich ganz der Hingabe an äußere Erscheinungen zugewandt hat, so genannte „Sensationen“.
Manchmal scheint es ganz sinnvoll zu sein, eine solche Haltung einzunehmen. Zum Beispiel dann, wenn der Enthusiasmus für ein Ziel, welches ‚mensch’ sich vorgenommen hat, verloren gegangen ist.
Enthusiasmus ist ein Zustand der Begeisterung. Enthusiasmus kann ‚mensch’ zum Beispiel für seine Arbeit entwickeln. 
Er hat sich vorgestellt, wie erfüllend es sein könnte, sich für eine Sache zu engagieren, welche zum Beispiel den Weltfrieden fördern möchte.
Anfangs zeigen sich auch kleine Erfolge: 
Er trifft Menschen, welche sich für das gleiche Ziel einsetzen und geht mit ihnen ein Bündnis ein. Die Gruppe kann sich auf erste Pläne und Handlungsabsichten verständigen und beginnt ein Konzept zu erarbeiten. Doch dann treten die üblichen menschlichen Konflikte auf, weil jeder Kopf wieder eine andere Vorstellung und Erlebenswelt in sich trägt. 
Die Sache kommt zu einem Stillstand und jetzt ist der erste Enthusiasmus verflogen.
Ich erlebe wieder die gleiche Ohnmacht, das gleiche Gefühl von Sinnlosigkeit und die gleiche Frustration als wäre ich wieder allein mit meinen Bemühungen, und bin enttäuscht darüber, dass Menschen so sind, wie sie sind.
An einer solchen Stelle kann es sinnvoll sein, in die andere Richtung zu gehen, sich abzulenken von den Schwierigkeiten, welche aufgetaucht sind und seine ganze Hingabe an äußere Erscheinungen abzugeben. 
Das wird so lange währen, bis die Erkenntnis durchkommt: Das ist es auch nicht! Mit dem Festhalten an äußeren Sensationen verliere ich mich selbst, meine innere Ruhe wird gefährdet und ich verliere den Kontakt zu mir.
Obwohl in beiden Worten ein Hinweis steckt, wo diese beiden Haltungen, Ekstase und Enthusiasmus, letztlich hinführen: zu Gott, praktizieren sie eine jeweils andere Handlungsweise und haben demnach auch andere Wirkungen auf mich und auf meine Umwelt.
An einem Vorfall, den ich kürzlich erlebte, will ich jetzt erklären, wie ich das meine:
Am letzten Abend vom Rutenfest war ich zum Festplatz gefahren, um das Feuerwerk zu sehen.
Ich wollte danach mit dem Leihwagen, mit welchem ich nach Ravensburg gefahren war, gleich noch weiterfahren zu meiner Schwester, welche etwa hundert Kilometer von Ravensburg weg in der Schwäbischen Alb wohnt. An diesem Abend werden die sonst für die Festbesucher zur Verfügung stehenden Parkplätze abgeriegelt, weil auf diesem Platz dann das Feuerwerk gezündet wird und ein relativ großer Sicherheitsbereich freigehalten werden muss. Also musste ich mein Fahrzeug auf einem Kundenparkplatz eines nahegelegenen Großmarktes abstellen. Dabei dachte ich noch nicht an die Abfahrt nach dem Feuerwerk, sonst hätte ich folgenden Fehler nicht gemacht: Ich stellte das Fahrzeug so ab, wie ich angefahren kam und musste beim Ausparken rückwärts fahren. Dabei dachte ich nicht an die Schwierigkeiten, welche entstehen würden, wenn  tausende Besucher nach diesem Feuerwerk wieder aufbrechen wollen: Es entstand tatsächlich ein heilloses Durcheinander und ein Stau, welcher sich mindestens eine Stunde lang nicht auflöste.
Rückwärts habe ich nun mal keine Augen und auf einem stockdunklen Parkplatz ist es keine leichte Sache, ein Fahrzeug aus einer Parklücke hinaus zu manövrieren, wenn hinter einem eine Schlange steht, welche sich auf den Ausgang des Parkplatzes zu bewegt.
Der durch den Massenandrang entstandene Druck verschärfte sich zusehends und ich hätte da eigentlich mehr Ruhe an den Tag legen sollen. Aber die vorher erlebten Ereignisse schienen das nicht zuzulassen. Ein Spektakel am Nachthimmel mit in verschieden Farben schimmernden Feuergarben und lautem Getöse, Krachen, Knacken und Schwirren war da kurz zuvor geboten worden und ich hatte es mit genossen und stand noch voll unter dem Eindruck dieses Ereignisses. Der Kopf war noch nicht wieder klar genug, richtig zu denken und danach auch zu handeln: nämlich besonnen und ohne Zeitdruck auf eine Ausfahrtmöglichkeit zu warten.
Ich hatte auch meiner Schwester versprochen, gleich nach dem Feuerwerk loszufahren. Aber an diese Art der Verzögerung hatte ich nicht gedacht. Es wurde laut gehupt und skandiert und ohne Ende gedrängelt, wie sich Menschen in so einer Situation eben verhalten: Egoistisch.
Ich konnte eine Dame mit ihrem Fahrzeug neben mir irgendwann doch noch davon überzeugen, dass sie besser daran täte, ihr Fahrzeug zu wenden und vorwärts auszuparken. Das war möglich, weil neben ihr einige Fahrzeuge schon weggefahren waren. Und so gelang es mir mit demselben Manöver mein Fahrzeug zu wenden und vorwärts aus dem Parkplatz herauszukommen.
Will sagen: Durch stures und rücksichtsloses, vom „Ego“ getriebenes Verhalten entwickeln sich immer wieder Engpässe unter Menschen, welche sich letztlich nur durch Einsicht, Toleranz und Verhaltensänderung überwinden lassen.
Wie kann ein Mensch dahin gelangen, dass sie/er sich von etwas anderem als diesem „Ego“ bewegen und führen lässt und dennoch sich als Mensch nicht benachteiligt fühlt?
Ich denke, dass genau diese Geschichte über das „Rückwärtsausparken“ eine Lösung anbietet:
Hätte ich sofort versucht, meine Schwester anzurufen und sie ins Bild über die Lage zu setzen, wäre mir der Erfüllungsdruck ein Stück weit genommen worden, aus dieser Situation mich allein und ohne fremde Hilfe befreien zu müssen. Die Angst, „ES“ nicht schaffen zu können, hat mich zu der irrigen Annahme geführt, ich müsste dieses Problem allein und ohne fremde Hilfe bewältigen und hat dann ein entsprechendes, fehlerhaftes Verhalten bewirkt.  
So entwickelte ich ein Zuviel an Wollen und dabei ging mir Hilfe, Verbindung und Unterstützung verloren und ich landete beim Zuwenig an Übersicht, kontrollierter und zufriedenstellender Handlung.
Diese Erfahrung hat mich zwar einen Blechschaden gekostet, welchen ich jetzt nachträglich wieder gut machen muss, aber in Wirklichkeit ist mir dadurch etwas deutlich geworden, was sich weder in Zahlen ausdrücken lässt, noch jemals bezahlt werden kann.
Was kann ich also tun, wenn das Gefühl des „En theou son“ (das sich in Gott geborgen fühlen) wieder einmal verloren geht und ich in eine Position gerate, welche mir das Gefühl vermittelt,  „Ek thea son“ (aus dem Göttlichen gefallen zu sein) ich hätte keinen Schutz, keine Zeit, bin ungeborgen, fühle mich benachteiligt, ohne Hilfe, und Hülle, verzweifelt und außer mir?
Ich werde schauen, wie sich in diesem Moment der Bedrängnis ein „Kontakt“ herstellen lässt. 
Fotograf : Erzalibillas 
Die Erschaffung Adams
Michelangelo, zwischen 1508 und 1512
Fresko, 480 cm × 230 cm
Sixtinische Kapelle